Dass Michael Lentz selbst ein Meister der Sprache ist, merkt man jeder Zeile an.

Michael Lentz wirft einen literarischen Blick auf den Künstler, der Deutschland seit Jahrzehnten den Sound seiner Gefühle schenkt: Grönemeyer. Und ja: ich bin ein Herbert-Fan, ich mag den Kerl! Und ich liebe die Live-Konzerte.

Vielleicht würde es ja reichen, einfach die Alben zu hören – sich einzulassen auf diese Stimme, die ihre Themen in Töne gießt, mal brüchig, mal trotzig, mal zärtlich. Ich weiß es noch: damals im WDR-Rockpalast. Ich saß gebannt vor dem Fernseher, als dieser unbeholfen wirkende Mann über die Bühne hüpfte. Jetzt oder nie mochte ich sofort – wegen dieser Stimme, die eigentlich nicht singt, jedenfalls nicht so, wie ich mir Gesang bis dahin vorgestellt hatte. Natürlich musste es die Musikkassette sein, 4630 Bochum. Und Flugzeuge im Bauch, Alkohol, Amerika, Mambo leierten rauf und runter. Die früheren Alben lernte ich erst später kennen, die späteren habe ich alle gekauft.

Und es stimmt: Wer Grönemeyer hört, will irgendwann mehr wissen. Über die Texte, die Musik, die Entstehung. In den sozialen Medien taucht er nur kurz auf – ein Zitat, ein Clip, ein Kommentar. Tiefer geht das mit Michael Lentz, dessen im Vorjahr erschienene Studie Grönemeyer sich tatsächlich als Untersuchung versteht. Lentz analysiert nicht einfach – er seziert. Mit einer wissenschaftlichen Akribie, die man so kaum je einem Popmusiker zuteilwerden ließ.

Doch Lentz bleibt nicht im Labor. Er erzählt auch die Biographie – feinfühlig, fast zärtlich. Etwa wenn Grönemeyer vom Vater berichtet, der das Empfinden von Glück weitergab und für den Freundschaft das Wichtigste im Leben war. Die Mutter, die stillere, in deren Gesprächen, so erinnert sich Herbert, nie ein scharfes Wort fiel. Ein vom Krieg geprägtes Elternpaar, das sich ergänzte – ein Fundament, das den Menschen Grönemeyer ebenso prägte wie den Künstler.

Und dann ist da die Welt des Films: Das Boot (1981), der Durchbruch als Schauspieler, bevor die Musik endgültig das Ruder übernahm. Später die Tragödie um Anna Henkel, seine Frau, die 1998 verstarb – ein Einschnitt, der das Album Mensch zu einem der persönlichsten Werke der deutschen Popgeschichte machte. Lentz beschreibt diese Jahre mit einem Respekt, der nie ins Sentimentale kippt, sondern den Künstler in seiner ganzen Verletzlichkeit zeigt.

Manchen mag Lentz’ Detailfreude zu weit gehen. Muss man wirklich wissen, aus welchem Silbenfluss ein Lied entstand? Ich finde: ja. Gerade weil Lentz zeigt, wie eng bei Grönemeyer Text, Stimme und Musik miteinander verwoben sind. Der Text, schreibt er, müsse „auf seiner Musik und seiner Stimme surfen“. Und das trifft es: Die Worte klingen nicht auf der Melodie, sie sind Melodie.

So wird Lentz’ Buch mehr als nur eine Werkanalyse – es ist eine Chronik deutscher Befindlichkeiten, ein Spiegel von vier Jahrzehnten Alltags- und Gefühlsgeschichte. Grönemeyer versteht es, nicht nur sich selbst, sondern auch „die anderen“ zu fühlen. Dieses Erkennen, dieses geteilte Menschsein macht ihn so beliebt.

Dass Michael Lentz selbst ein Meister der Sprache ist, merkt man jeder Zeile an. Der Büchner-Preisträger, der als Lautpoet und Romanautor bekannt wurde, weiß, wie Klang und Bedeutung ineinandergreifen. Wenn er Grönemeyers Songs analysiert, dann tut er das nicht aus akademischer Distanz, sondern mit einem tiefen Gespür für Rhythmus, Atem, Stimme. So entsteht kein bloßes Nachschlagewerk, sondern eine vibrierende Sprach- und Musikstudie – geschrieben von einem, der weiß, wie schwer und schön es ist, Worte zum Klingen zu bringen.

Ich freue mich über jedes neue Album – und über dieses Buch, das, wie der Klappentext verspricht, die „erste umfassende Gesamtdarstellung zu Leben und Werk“ bietet.

Unbedingt lesenswert.

Grönemeyer von Michael Lentz ist 2024 bei Fischer erschienen.