
Bücher zur Kolonialgeschichte interessieren mich, weil dieses Kapitel noch längst nicht zur Genüge aufgearbeitet ist. Kurzweilig zu lesen und nah an den historischen Fakten ist Eine Frage der Zeit von Alex Capus, ein Roman über Machtspiele in Deutsch-Ostafrika. Besonders die teils überdrehte Darstellung der Charaktere gefällt mir, passend zur Absurdität des Geschehens.
Im Jahr 1913 erhält Kaiser Wilhelm II. den Auftrag, das nicht vernietete und nur locker geschraubte Dampfschiff Goetzen am Tanganjikasee wieder zusammenzusetzen. Zuständig sind die Papenburger Werftarbeiter Anton Rüter, Hermann Wendt und Rudolf Tellermann. Das Schiff soll die benachbarten Kolonialherren im Belgisch Kongo beeindrucken. Schon der Transport – in Kisten auf drei Dampfern und dann per Bahn nach Daressalam – wird zum Abenteuer.
Capus zeichnet die Machtgefüge der „Herrenmenschen“, die eigentlich einfache Jungs sein sollten und wollten – unausgesprochen unperfekt. Wendt etwa lässt sich nicht bedienen, wird aber von einer alten Frau bekocht, bemuttert, während eine junge Afrikanerin seine Geliebte wird. So feiern sie norddeutsch in Wendts Biergarten – als die Kolonialrealität geradezu absurd wird. Helden gibt es kaum; manchmal blitzen kleine heldenhafte Gesten auf: Rüter etwa weiß, dass die stolzen Massai zur Arbeit am Schiff gezwungen wurden und ihre Hütten, Brunnen und Felder bedroht waren. Er kann sie nicht befreien, findet aber einen Ausweg, indem er sie in einer Rinderherde „beschäftigt“, die es gar nicht gibt.
Dann bricht der Erste Weltkrieg aus: Plötzlich sind Marinesoldaten überall, Uniformpflicht gilt – und die Schiffe, um die es geht, werden zu Kriegsschiffen. Tellermann wollte doch nur die Goetzen nieten. Capus schubst seine Figuren oft von einem Tag auf den anderen in die Geschichte, während andere beharrlich darauf warten, dass sie beginnt. Auf britischer Seite etwa Geoffry Spice Simson, der sich eine militärische Karriere wünscht und seine Welt nach Belieben zurechtformt. Fachlich unfähig, exzentrisch, zieht er andere mit ins Unglück – oder lässt sie an skurrilen Aufgaben teilhaben, wie etwa dem Transport zweier Boote 160 Kilometer durch den Dschungel, ein klarer Fitzcarraldo-Moment.
Die heimliche Hauptfigur
Faszinierend finde ich, dass die heimliche Hauptfigur, die Goetzen, noch immer über den Tanganjikasee schippert – wenn auch unter anderem Namen. Sie erinnert daran, dass die Kolonialgeschichte noch lange nicht erzählt ist. Capus schreibt bildreich, zeichnet Figuren schön schräg und nutzt Satire, um die Absurditäten der Realität zu spiegeln. Auch wenn man sich fragt, ob Deutsch-Ostafrika jemals so „lustig“ war, wie es Simson und andere vermitteln – Satire hilft, die Wirklichkeit zu verstehen.
Alex Capus, Eine Frage der Zeit, dtv 2018 (Taschenbuch), Originalausgabe 2007 bei Albrecht Knaus.
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