
T.C. Boyle, Blue Skies (2023)
Irgendwann fahren sie mit Booten von Haus zu Haus – und keiner fragt mehr, warum das so ist. Der Wandel war schleichend, und jetzt ist die Welt gänzlich aus den Fugen geraten.
T. C. Boyle erzählt in seinem Roman Blue Skies die Geschichte einer kalifornischen Familie, die sich zwischen Naturkatastrophen, Lifestyle-Obsessionen und sozialem Auseinanderdriften wiederfindet. Im Zentrum stehen Ottilie, Influencerin mit Schlangen-Faible, die sie als Haustiere hält, ihr Bruder Cooper, ein Insektenforscher, der in Florida mit den Auswirkungen der schleichenden Klimakatastrophe konfrontiert ist, und ihre Eltern, die mit den Veränderungen um sie herum kaum noch Schritt halten können.
Schlange als Modeaccessoire
Dabei geht es längst nicht mehr darum, die allumfassende und Leben spendende Natur zu schützen. Sie ist unberechenbar geworden – so sehr, dass man sie nur noch hinnimmt. Doch sie beginnt sich zu wehren. Die Schlange, die Ottilie oberflächlich wie ein Modeaccessoire zur Schau stellt, wird zum Sinnbild dieses Wandels: schön, gefährlich – und letztlich nicht kontrollierbar.
Das erkennt ansatzweise Cooper, für mich eine der tragischsten Figuren des Romans. Obwohl er beruflich mit der Natur verbunden ist, bleibt er emotional distanziert. Seine zwischenmenschlichen Beziehungen sind angespannt, vor allem zur Familie. Im Kontrast zur extrovertierten Ottilie wirkt er in sich gekehrt, fast isoliert. Er ist keiner, der laut wird oder dramatische Gesten macht – seine Verzweiflung ist still und schleichend. Und genau deshalb umso eindringlicher.
In Cooper dürften sich viele Lesende wiederfinden: Er erkennt die Warnzeichen klar – und findet dennoch keinen Weg, mit ihnen umzugehen.
Boyle gelingt es, die Klimakrise auf eine persönliche Ebene zu bringen – oder besser gesagt: sichtbar zu machen, dass jeder betroffen ist. Dass jeder Verantwortung trägt. Wir können uns nicht davonstehlen.
Was mich an Boyles Schreiben immer wieder beeindruckt: Er erhebt nie den moralischen Zeigefinger. Und dennoch wirken seine Texte nach – lange und nachhaltig.
Unbedingte Leseempfehlung!
T. C. Boyle, geboren 1948 im US-Bundesstaat New York, zählt ohne Zweifel zu den bedeutendsten Gegenwartsautoren der Vereinigten Staaten und wird auch hierzulande nahezu kultisch verehrt. Seine Lesungen erinnern an die Auftritte von Popstars. Bekannt wurde Boyle durch eine Reihe gesellschaftskritischer, oft satirischer Romane und Erzählungen, in denen er mit großer Beobachtungsgabe menschliches Verhalten unter Drucksituationen beleuchtet – sei es durch Umweltzerstörung, technische Utopien oder soziale Extreme. Neben seiner stilistischen Virtuosität ist es Boyles Fähigkeit, komplexe Themen in packende, manchmal groteske Geschichten zu übersetzen, die ihn so lesenswert machen.