Das neue Woflskehl -Buch zeigt sich bestens ediert von Ralf Georg Czapla.

Karl Wolfskehl, Eure Sprache ist auch meine, Gedichte aus dem italienischen Exil (2023)

Schade, dass die Rechten keine Lyrik kennen – jedenfalls keine, die sie selbst betrifft. Dabei wäre es so wichtig, gerade jetzt wieder Wolfskehl zu lesen – Karl Wolfskehl (1869–1948), der im deutschsprachigen Literaturbetrieb kaum noch vorkommt. Kaum ist aber zum Glück nicht nie, und deshalb sei an dieser Stelle der wunderbare Gedichtband Eure Sprache ist auch meine empfohlen, der 2023 im Quintus Verlag erschienen ist – sorgfältig ediert von Ralf Georg Czapla, Literatur- und Kulturwissenschaftler an der Universität Heidelberg.

Dichter des Widerstands

Der Band versammelt Wolfskehls Lyrik aus den Jahren 1934 bis 1936, entstanden im schweizerischen und italienischen Exil. Besonders beeindruckend ist der zentrale Gedichtzyklus Die Stimme spricht, ein dichter, dialogischer Text, in dem das lyrische Ich in ein Zwiegespräch mit einer göttlichen Stimme tritt. Es geht um Heimatverlust, um jüdische Identität, um Sprache und Erinnerung – aber vor allem um eine geistige Selbstbehauptung inmitten der Barbarei. Wolfskehl ringt hier nicht nur mit Gott, sondern auch mit sich selbst und seinem Platz in einer Welt, die ihn ausgestoßen hat.

Ein nahezu intimes Gedicht aus Die Stimme spricht: Herr, ich will zurück.

Ein nahezu intimes Beispiel ist das Gedicht Herr, ich will zurück. Wolfskehl schreibt darin:

„Allein in leerer, atemleerer Luft,
Allein im Herzen, vor mir selber scheu.“

Auch das titelgebende Gedicht An die Deutschen ist enthalten – für mich in der Tat der ergreifendste Text des Buches. Eure Dichter sind auch meine, heißt es darin, und weiter: Ich bin deutsch und ich bin Ich. Kein Rückzug, kein Abgesang – sondern ein literarisches Bekenntnis zur Sprache und zur humanistischen Tradition, die die Nazis zu zerstören versuchten.

Wolfskehl hatte sich nach 1934 aus dem George-Kreis gelöst, was dort wohl für Befremden sorgte. „Er tat dies mit Bedacht“, schreibt Czapla – und zitiert aus einem Wolfskehl-Brief an den Germanisten Georg Edward. Wolfskehl fühle sich verpflichtet, die Gedichte herauszubringen, sehe darin jedoch „nur einen Wandel der Stellung, nicht der Haltung“.

Er musste auf die Nazis reagieren: 1933 ging er nach dem Reichstagsbrand ins Schweizer, ein Jahr später ins italienische Exil. 1938 floh er weiter nach Neuseeland, wo er 1948 starb – fast erblindet, aber ungebrochen in seinem dichterischen Anspruch.

Der Held und die Erde

Dabei war Wolfskehl keineswegs ein Unbekannter. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte er sich als Lyriker und Essayist einen Namen gemacht – etwa mit dem Gedichtband Ursprung (1905), dem ersten tastenden Versuch einer mythisch-symbolistischen Weltdeutung. Es folgten Werke wie Der Held und die Erde (1910) und Marienleben (1914), letzteres eine Auseinandersetzung mit religiösen Stoffen in bewusst archaisierender Sprache. Während seiner Zeit im George-Kreis war er zudem als Übersetzer bedeutend – etwa von Dante und John Donne – und veröffentlichte 1924 Sang aus dem Exil, einen programmatischen Band, der bereits im Titel seine politische und geistige Haltung markierte. Selbst in der Emigration entstanden weitere Gedichte, zuletzt 1947 in Neuseeland unter dem Titel Hiob oder Die vier Spiegel – sein spätes, tief religiöses Vermächtnis.

Die neue Ausgabe im Quintus Verlag – gebunden, 160 Seiten, mit einem klugen Kommentarteil – tut endlich das, was längst hätte geschehen müssen: Sie macht Wolfskehl wieder lesbar. Und nicht nur das – sie zeigt, wie aktuell seine Fragen nach Zugehörigkeit, Sprache und geistiger Haltung heute wieder sind.

Wolfskehl hat wie kaum ein anderer das Ringen um Sprache, Identität und geistige Heimat in Zeiten der Barbarei zum Thema gemacht. Ihn heute zu lesen, heißt nicht zuletzt, sich an eine andere Vorstellung von Deutschsein zu erinnern – eine, die Mut macht, weil sie aus Integrität, Schmerz und Widerstand besteht.